Kinder spielen gemeinsam
Urheberrecht: in Lizenz von very_ulissa – stock.adobe.com

Lass die anderen auch mal! – Kinder und Teilen

Wer kleine Kinder hat, kommt früher oder später in die Situation, dass wegen Spielzeug Tränen fließen. Meistens sind wir Erwachsenen diejenigen, die solche Momente der Frustration und der Disharmonie nicht aushalten können. Unseren Kindern nehmen wir dann die Möglichkeit, für sich selbst zu lernen. 

Meines, Deines, Unseres


Kinder lernen das Wort „meins“ meistens lange bevor sie seine Bedeutung verstehen. Oft ist das ein Prozess, der bis ins vierte Lebensjahr andauern kann. Bis dahin probieren sich die kleinen aus und spielen mit Begrifflichkeiten, bis sie die Unterscheidung letztendlich wirklich verstehen. Deshalb sollte man es als Erwachsener auf gar keinen Fall persönlich nehmen, wenn das eigene Kind mit eineinhalb Jahren nicht versteht, warum der Bagger eines andere Kindes nicht „meins“ sein kann. 


Das Spielzeug ist weg


Was ebenfalls erst später wirklich verstanden wird, ist Zeit. Kleine Kinder leben im Hier und Jetzt. Wenn man sie zwingt, Spielzeug einem anderen Kind zu geben, reicht ihre Vorstellungskraft nicht aus, um zu verstehen, dass sie es irgendwann wieder zurückbekommen. Das Spielzeug ist für sie für immer weg. Da ist dann klar, warum es zu Frustration kommt. Auch wenn wir versuchen, es dem Kind zu erklären, müssen wir uns bewusst sein, dass es nicht alles gleich versteht wie wir. Umgekehrt können auch wir vielleicht nicht immer ganz die Perspektive unserer Kinder verstehen. Wenn ein Kind sich einem anderen nähert und auf ein Spielzeug zeigt, dann geht es für uns Großen oft ausschließlich darum. Wir betrachten den Konflikt als einen, bei dem es um einen Gegenstand geht. Stattdessen geht es oftmals um Interaktion und ein Miteinander. 


Frustration zulassen, Gefühle erlauben 


Wir sind allzu oft verführt, unsere Kinder zum Teilen anzuhalten. Dabei müssen auch wir Erwachsene nicht alles teilen, schon gar nicht in einem vorgegebenen Rhythmus. Stell dir vor, du fängst gerade an, einen Film zu schauen und musst den Fernseher nach zehn Minuten an einen Freund abtreten. Zehn Minuten später bist du wieder an der Reihe. Das würde auch bei uns nicht für Harmonie sorgen. Gleichzeitig verlangen wir oft das von unseren Kindern. Oder noch schlimmer, wir benachteiligen das eigene Kind, das sein Spielzeug „teilen“ muss, damit es vor den anderen Kindern – aber vor allem deren Eltern – nicht egoistisch wirkt. 


Was tun? 


Eine gute Empfehlung ist, nicht allzu viel zu lenken. Natürlich müssen Erwachsene einlenken, sobald Verletzungsgefahr besteht. Dann können wir unseren Kindern bestimmt erklären, dass es erlaubt ist, wütend zu sein, wir aber niemandem wehtun dürfen. Abgesehen davon können wir unsere Kinder einfach lernen lassen, dass Enttäuschung und Frustration eben manchmal sein müssen. Dass man nicht alles bekommen kann, was man möchte, aber auch nicht alles hergeben. Kurzfristig mag das zu schwierigen Momenten führen, langfristig lernen Kinder so aber früh, sowohl andere Grenzen zu akzeptieren als auch selbst für ihre eigenen Grenzen einzustehen. 


Die Konfrontation mit anderen Eltern


Die Strategie wird natürlich umso schwieriger, je mehr fremde Kinder und auch fremde Eltern involviert sind. Gerade an öffentlichen Orten wie dem Spielplatz wollen wir ein harmonisches Miteinander und dort sind nicht nur unsere Kinder sondern auch wir selbst an soziale Rahmen gebunden. Doch auch hier sollte man nicht unbedingt zum Teilen animieren. Stattdessen kann man versuchen, sich seinem Kind als Mediator*in anzubieten. Man kann die Situation zum Beispiel wertfrei kommentieren: „Es sieht so aus, als würde das andere Kind sein Spielzeug nicht teilen wollen. Du siehst traurig aus.“ Oft reicht es nämlich, wenn man Kinder in ihren Bedürfnissen einfach nur wahrnimmt. 


Wer die anderen Kinder – und Eltern – besser kennt, kann auch die Rahmenbedingungen von Anfang an abstecken, indem man zum Beispiel fragt, ob alle einverstanden sind, dass man Kinder unter sich ausmachen lässt, ob, wann und wie viel sie teilen möchten. Das beugt oft dem Schamgefühl vor, das hochkommt, wenn Kinder streiten. Und oft wird man am Ende vielleicht dadurch überrascht, dass die Kinder ohnehin lieber gemeinsam als alleine spielen wollen. 


Dr. med. Anna Maria Cavini

Dr. med. Anna Maria Cavini

Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde

Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde, Diplome der ÖAK für Notfallmedizin, Sportmedizin, ...

Mehr Artikel von Dr. med. Anna Maria Cavini